Ein zentrales Ereignis in der Geschichte des KZ Buchenwald ist die Vorbereitung der Selbstbefreiung des Lagers am 11. April 1945. Es zeigt, dass selbst unter den Bedingungen der faschistischen Terrorherrschaft ein gemeinsamer Überlebenswille, der sich über nationale Grenzen hinweg entwickelte, in der Rettung von über 20.000 Häftlingen mündete. Diese Leistung ist für die Überlebenden des Lagers, die an dieser Befreiung teilgenommen haben, ein wichtiger Punkt des gemeinsamen Narrativs. Seit 1990 wird bei dem Versuch der ideologischen Abwicklung der antifaschistischen Geschichte Buchenwalds, die Selbstbefreiung als „DDR-Mythos“ oder „kommunistische Legendenbildung“ denunziert.
Die historischen Tatsachen sprechen jedoch eine eindeutige Sprache. Bereits im Jahre 1943 beauftragte das illegale Internationale Lagerkomitee (ILK) politisch zuverlässige Häftlinge, zum Selbstschutz eine Militärorganisation aus militärisch erfahrenen Häftlingen aufzubauen. Unter Leitung von Otto Roth wurden deutsche, französische und sowjetische politisch bewusste Häftlinge hierfür ausgewählt und ausgebildet. Die deutschen Häftlinge nutzten die Möglichkeiten des Lagerschutzes und der Lagerfeuerwehr, um solche Strukturen unter den Augen der SS zu schaffen.
Nun musste für eine angemessene Bewaffnung des Selbstschutzes gesorgt werden. Über Monate hinweg wurden Pistolen und Munition aus den Beständen der SS organisiert und an sicheren Plätzen deponiert. Aus der Karabiner-Produktion in den Gustloff-Werken wurden Waffenteile ins Lager geschmuggelt und dort zusammengesetzt. Die sowjetischen Häftlinge erstellten zahlreiche Brandflaschen sowie Hieb- und Stichwaffen aus ganz einfachen Materialien. Anfang 1945 gelang es sogar, bei der Räumung eines Evakuierungstransportes ein komplettes Maschinengewehr in das Lager zu schmuggeln.
So bereitete man sich praktisch vor auf den Schutz der Häftlinge bei einer befürchteten Vernichtung des Lagers beim Vormarsch der Alliierten. Ein bewaffnetes Vorgehen gegen die SS war jedoch erst möglich, als sich das Kräfteverhältnis durch eine deutliche Schwächung der SS zugunsten der Häftlinge verschob.
Diese Situation ergab sich Anfang April 1945, als noch über 50.000 Häftlinge im Lager waren. Der militärische Vormarsch der Roten Armee im Osten und der amerikanischen Truppen durch Hessen in Richtung Westthüringen führte zu Überlegungen militärischer Aktionen. Am 2. April lehnte das ILK zwar einen bewaffneten Aufstand ab, forderte aber, die geplante Evakuierung des Lagers zu verzögern. Die folgenden Tage waren an Dramatik nicht zu überbieten. Einerseits schickte die SS Häftlingsgruppen auf Todesmärsche, gleichzeitig trafen mehrere Tausend Häftlinge aus den Außenlagern auf dem Ettersberg ein. Darüber hinaus wurde sichtbar, dass die SS-Führung Absetzbewegungen vorbereitete. Dazu gehörte die Vernichtung von Unterlagen, aber auch der Versuch, politische Gegner in letzter Minute noch zu ermorden. Als am 6. April 1945 die SS 46 Häftlinge, die sie zur illegalen Lagerleitung zählten, ans Tor rief, zeigte sich der Widerstand: Keiner ging ans Tor, das Lager versteckte die Gesuchten vor dem Zugriff der SS.
Noch waren die Häftlinge nicht stark genug, weitere Deportationen zu verhindern. Aber in einigen Transporten schickte man Angehörige der Militärorganisation mit, die Handwaffen bei sich hatten.
Erst als am 10. April 1945 der Großteil der SS-Einheiten und die Lagerführung den Ettersberg verlassen hatten, schien militärisches Handeln gegen einen immer noch mächtigen Feind möglich. Als in der Nähe des Lagers Spitzen amerikanischer Panzerkräfte eintrafen, erteilte das ILK am 11. April 1945 um 14.30 Uhr dem Leiter der Militärorganisation den Befehl zum Aufstand. Die bewaffneten Kampfgruppen der Häftlinge erstürmten das Haupttor, schalteten den Strom im Stacheldrahtzaun ab, besetzten die Bewachungstürme und eroberten Waffen. Um 15.15 Uhr verkündete der Lagerälteste: „Kameraden, wir sind frei!“ Die bewaffneten Häftlinge nahmen etwa 220 SS-Angehörige und andere Nazis gefangen.
Zwei amerikanische Aufklärer trafen – wie es 1945 in einer amerikanischen Militärzeitung hieß – völlig überrascht auf bewaffnete Häftlinge, die den Schutz des befreiten Lagers übernommen hatten. Am 13. April 1945 übernahm ein Befehlshaber der III. US-Armee das Lager.