Neuengamme

Weiße Busse des Schwedischen Roten Kreuzes auf der Lagerstraße des KZ Neuengamme, Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, 1984-3151

Die Auflösung des Neuengammer Lagerkomplexes begann am 24. März 1945 mit der Räumung der Außenlager im Emsland. Anfang April folgten die Außenlager im Weserbergland, in Wilhelmshaven, Hannover, Braunschweig und Salzgitter, dann die Bremer und Hamburger Außenlager. Für die Transporte setzte die SS Güterwaggons ein, in denen 50 bis 100 Häftlinge oder sogar mehr zusammengedrängt wurden. Ohne oder nur mit wenig Nahrung und Wasser waren manche Transporte länger als eine Woche unterwegs. Aufgrund zerstörter Gleise und des sich ändernden Frontverlaufs konnten die Züge häufig ihre ursprünglichen Zielorte nicht erreichen und fuhren tagelang hin und her. Bei Fahrtpausen wurden die zahlreichen Toten neben den Bahngleisen begraben. War ein Bahntransport nicht möglich, so wurden die Häftlinge zu Fuß aus den Lagern getrieben. Ohne Verpflegung und angemessenes Schuhwerk waren die tagelangen Märsche für die Frauen und Männer eine Qual und bedeuteten häufig ihren Tod. Wer zusammenbrach oder nicht Schritt halten konnte, wurde von den Wachmannschaften erschossen.
Die meisten Transporte führten in sogenannte „Auffanglager“: Zielort von ca. 9.000 Häftlingen, vor allem der meisten Bremer und einiger Hamburger Außenlager sowie von kranken Häftlingen, wurde das Kriegsgefangenenlager Sandbostel bei Bremervörde. Über 8.000 Häftlinge, in ihrer Mehrzahl Jüdinnen, aus dem Hauptlager abgeschobene Kranke sowie Häftlinge aus dem Raum Hannover kamen in das KZ Bergen- Belsen. Das Außenlager Wöbbelin bei Ludwigslust wurde zur letzten Station für ca. 5.000 Häftlinge vor allem aus den Außenlagern im Raum Braunschweig-Salzgitter. Diese drei Zielorte wurden zu Sterbelagern, in denen Tausende an Hunger und Krankheiten zugrunde gingen: In Wöbbelin starben ca. 1.000 und in Sandbostel 3.000. Wie viele Häftlinge des KZ Neuengamme unter den 25 000 Toten sind, die in Bergen-Belsen kurz vor und in den ersten Wochen nach der Befreiung starben, ist nicht bekannt.
Das Hauptlager, aus dem am 20. April 1945 über 4.000 skandinavische Häftlinge mit den „Weißen Bussen“ gerettet und anschließend nahezu 10.000 Häftlinge mit Güterzügen nach Lübeck gebracht wurden, diente bis zuletzt als Hinrichtungsstätte. Am 22. und 23. April ermordete die SS 58 Männer und 13 Frauen, die aus dem Polizeigefängnis Fuhlsbüttel zur Exekution überstellt worden waren. Zwanzig im KZ Neuengamme zu medizinischen Experimenten missbrauchte Kinder wurden zur Ermordung in das geräumte Außenlager Hamburg-Rothenburgsort am Bullenhuser Damm gebracht. Zugleich musste ein ca. 700 Mann starkes Restkommando in den letzten Apriltagen das Lager herrichten. Gezielt ließ die SS die Spuren der Verbrechen verwischen. Die Akten wurden verbrannt, Baracken von Stroh und Unrat gereinigt und Prügelbock und Galgen beseitigt. Die letzten Häftlinge und SS-Leute verließen das Lager am 2. Mai 1945.
Im März 1945 wurde das KZ Neuengamme zum Sammelpunkt für in Deutschland inhaftierte norwegische und dänische Gefangene. Die Einrichtung des „Skandinavierlagers“ war ein Zugeständnis des Reichsführers SS, Heinrich Himmler, an den Vizepräsidenten des Schwedischen Roten Kreuzes, Graf Folke Bernadotte, als Vorleistung für erhoffte Kontakte zur britischen Regierung, mit der Himmler zur Abwendung einer totalen Niederlage einen Waffenstillstand aushandeln wollte. Nachdem schon zuvor Kranke mit den „Weißen Bussen“ nach Schweden transportiert worden waren, konnten am 20. April über 4.000 skandinavische Häftlinge das KZ Neuengamme verlassen.
Da zur Räumung des Hauptlagers keine Ausweichlager mehr zur Verfügung standen, beschlagnahmte der NSDAP-Gauleiter von Hamburg, Karl Kaufmann, Schiffe, die in Lübeck mit über 9.000 Häftlingen beladen wurden. Zusammengedrängt in den Laderäumen litten die Häftlinge an Hunger, Durst und Krankheiten, viele starben. Bei einem britischen Luftangriff am 3. Mai 1945, der Absetzbewegungen deutscher Truppenteile über die Ostsee verhindern sollte, gerieten die beiden vor Neustadt liegenden Schiffe „Cap Arcona“ und „Thielbek“ in Brand. Nahezu 7.000 Häftlinge verbrannten, ertranken oder wurden beim Versuch sich zu retten erschossen; nur 450 überlebten.
Am Abend des 2. Mai 1945 erreichten britische Soldaten das KZ Neuengamme und fanden das Lager weitgehend verlassen vor. Da Gebäude und Infrastruktur auch weiterhin als Massenunterkunft geeignet schienen, wurden noch im selben Monat ehemalige sowjetische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus dem Hamburger Raum dort untergebracht und versorgt. Gleichzeitig wurden in andere Teile des Lagers deutsche Kriegsgefangene eingewiesen. Internierte Angehörige der Waffen-SS und Zivilinternierte kamen hinzu.

Herbert Diercks

KZ-Gedenkstätte Neuengamme