Stimmungsumschwünge von einem Tag zum anderen, der fortwährende Wechsel zwischen halluzinierten Hoffnungen auf den „Endsieg“ und totalem Vernichtungswahn kennzeichnete die faschistische Führungsclique in den letzten Monaten, Wochen, ja Tagen des Zweiten Weltkriegs. Ihren unausweichlichen Untergang vor Augen, gab sie sich einerseits Illusionen über eine Wende im Kriegsgeschehen hin, die angesichts der politischen und militärischen Realitäten völlig wirklichkeitsfremd und abstrus waren, während sie andererseits ein „Ende mit Schrecken“ in bislang nicht gekanntem Ausmaß vorbereitete – und das mit geradezu teuflischer Systematik, die noch einmal die ganze Unmenschlichkeit des Naziregimes offenbarte:
- Am 15. Februar 1945 erließ Reichsjustizminister Thierack die Verordnung über die Bildung „fliegender Standgerichte“, die „Deserteure“ sofort nach ihrer Festnahme zum Tode zu verurteilen hatten. In Berlin waren solche Gerichte schon zwei Tage vorher gebildet worden. Eine Verordnung vom 25. Februar 1945 dehnte diese Standgerichtsbarkeit auf die Zivilbevölkerung aus.
- Vom 19. März 1945 ist Hitlers Befehl über „Zerstörungsmaßnahmen im Reichsgebiet“ datiert, der anordnete, beim Rückzug der deutschen Truppen „alle militärischen, Verkehrs-, Nachrichten-, Industrie- und Versorgungsanlagen sowie Sachwerte“ zu vernichten, der sogenannte „Nero-Befehl“.
- Vom 3. April 1945 stammt Himmlers „Flaggenbefehl“, der verfügte, dass alle männlichen Personen eines Hauses, das eine weiße Fahne zeigt, zu erschießen seien.
- Am 12. April 1945 unterzeichneten der oberste Wehrmachtsgeneral Feldmarschall Keitel, SS-Reichsleiter Himmler und NS-Reichsleiter Bormann ihren Durchhalte-Appell, der befahl, dass alle Städte „bis zum äußersten verteidigt und gehalten werden müssen“, und der zuwiderhandelnde „Kampfkommandanten“ und zivile Amtspersonen mit der Todesstrafe bedrohte.
- Zwei Tage darauf befahl Himmler, bei der Räumung von Konzentrationslagern und Gefängnissen keine Häftlinge lebend zurückzulassen.
- Abermals zwei Tage später – die Rote Armee begann an der Oder ihre „Berliner Operation“ – hieß es in Hitlers Tagesbefehl an die deutschen Soldaten an der sowjetisch-deutschen Front: „Wer in diesem Augenblick seine Pflicht nicht erfüllt, handelt als Verräter an unserem Volk. … Wer euch Befehle zum Rückzug gibt, ohne dass ihr ihn genau kennt, ist sofort festzunehmen und nötigenfalls augenblicklich umzulegen, ganz gleich, welchen Rang er besitzt.“
- Noch am 22. April 1945 befahl Hitler: „Jeder, der Maßnahmen, die unsere Widerstandskraft schwächen, propagiert oder gar billigt, ist ein Verräter! Er ist augenblicklich zu erschießen oder zu erhängen!“ Goebbels bekräftigte diesen Befehl in einer Rundfunkrede, die im „Panzerbär“, der einzigen ab dem 23. April in Berlin noch erscheinenden Tageszeitung, und den anderen Naziblättern, die im zusammengeschrumpften Hitler-Deutschland noch herauskamen, nachgedruckt wurde.
Begonnen hatten die Verbrechen der Nazis am Kriegsende im Grunde schon, als sich im Sommer 1944 die Rote Armee und die anderen Streitkräfte der Antihitlerkoalition den deutschen Grenzen näherten und offensichtlich wurde, dass der Hitlerfaschismus und die ihm noch verbliebenen Verbündeten ihre Niederlage nicht mehr abwenden konnten. Bei der sofort nach dem Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 einsetzenden Aktion „Gitter“ wurden rund 7.000 tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner, die sich bis dahin noch oder schon wieder auf freiem Fuß befunden hatten, und vielfach auch ihre Angehörigen verhaftet. Die Zahl der Todesurteile und die Höhe der Freiheitsstrafen, die gegen „Feinde des Reiches“ verhängt wurden, stiegen sprunghaft an, ebenso die Zahl der Opfer in den Hinrichtungsstätten und Vernichtungslagern; die Hinrichtung des KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann beispielsweise gehört dazu.
(Gerhard Fischer, aus Ulrich Sander: „Mörderisches Finale. NS-Verbrechen bei Kriegsende“)